First Class – Unterwegs im Orient Express

First Class Cover
Cover / Foto: Schmidt Spiele

Der Hans im Glück Verlag begeistert Vielspieler seit mehr als 10 Jahren. Das kann man gut an den Top 10 Platzierungen des Deutschen Spielepreis ablesen. Von 2006 bis 2015 war der Hans im Glück Verlag dort immer vertreten, die meisten Jahre sogar unter den Top 3 und drei Mal hatten sie den Gewinner im Angebot. So zum Beispiel 2014 Russian Railroads vom Autor Helmut Ohley. Dabei muss man seine Arbeiter geschickt einsetzen, die Gleise gewinnbringend verlegen und die Industrie vorantreiben. Nach einem ruhigen Jahr aus Vielspieler-Sicht versuchen Verlag und Autor in diesem Jahr mit einem umfangreichen Kartenspiel wieder zu begeistern. Es wird gerne als das Russian Railroads Kartenspiel gehandelt. Denn auch hier baut man eine Bahnstrecke aus und erweitert die eigenen Züge um weitere Waggons, die man ebenfalls aufwerten kann. Und wieder einmal, um dadurch die meisten Siegpunkte zu ergattern und das Spiel zu gewinnen.

Spielmaterial:

Der Spielekarton ist gut sortiert. Der Tiefzieheinsatz enthält Kartenslots für alle Karten, sortiert nach den Modulen, für den schnellen Spielaufbau. Dazu kommt das Basismaterial, welches in jeder Partie benötigt wird. Das sind Waggonkarten, Basiskarten, Spielendekarten, Postwaggonkarten, die Spielertableaus sowie jede Menge Plättchen und Holzfiguren.

Spielmechanismus:

Erstmal wird der Startspieler festgelegt und in umgekehrter Reihenfolge reihum aus einer Auswahl eine Spielendekarte ausgesucht, anschließend liegen immer vier dieser Karten offen in der Auslage. Für jede Partie wählen die Spieler zunächst zwei der fünf verfügbaren Module A – E aus. Diese Karten werden mit dem Grund-Kartensatz X separat nach den Runden 1, 2 und 3 gemischt. In jeder Runde werden zwei Phasen mit jeweils 18 Karten in drei Reihen gespielt. Wer am Zug ist, nimmt eine beliebige Karte aus einer beliebigen Reihe und führt die abgebildete Aktion aus. Sind aus dieser Reihe anschließend so viele Karten genommen wurden, wie Spieler teilnehmen, wir die restliche Reihe abgeräumt und steht folgenden Spielern nicht mehr zur Verfügung.

First Class Spielsituation
Spielsituation / Foto: Brettspielpoesie

Alle Spieler beginnen nur mit ihren Spielertableau, einer Münze darauf und zwei Waggons mit Wert 0 auf beiden Strecken. Sie können oben links ihre Strecke mit Streckenkarten ausbauen und dort die Lok bewegen. Das bringt Siegpunkte und zusätzliche Aktionen in den Wertungsrunden. Auf der rechten Seite vom Tableau können beide Züge um bis zu 9 Waggons erweitert und die einzelnen Waggons für mehr Punkte aufgewertet werden. Von 0 auf 1 auf 2 dann 4 dann 7 und zuletzt auf 12 Punkte. Um diese Punkte bei den Wertungen zu erzielen, müssen sich aber auch die Schaffner bewegen. Außerdem gibt es Aufträge, die im Laufe des Spiels erfüllt werden können und dann einen Bonus einbringen. Mit ausreichend Geld können zusätzliche Sonderaktionen genutzt werden: Einen Waggon mit Wert 0 nehmen, Schaffner oder Lok bewegen und einen Waggon aufwerten. Oder für vier Münzen eine weitere Spielendekarte aus der Auslage nehmen. Zudem erhält man anstelle des 6. Waggons eine der vier Postwaggon-Karten mit einem speziellen Bonus, der sofort ausgeführt wird. Nach dem neunten Waggon wird das oberste Lokomotivplättchen gelegt, der Zug kann dann nicht mehr erweitert werden. Erreicht auch der Schaffner dieses Plättchen, erhält der Spieler zusätzliche Punkte für den nächsten freien Platz auf dem Konstantinopel-Plättchen.

Es ist auch möglich eine Karte zu nehmen, aber anstelle der Kartenaktion die Aufwertung eines Waggons vorzunehmen. Zusätzlich zu den ausliegenden Karten kann sich ein Spieler während einer Runde das Startspieler-Plättchen nehmen. Das löst einen Bonus für alle außer dem nachfolgenden Spieler aus und macht den aktiven Spieler zum Startspieler der kommenden Phase und auch der Wertungsphase, wenn diese darauf folgt. Dafür wird dann eine andere Karte aus der anliegenden Reihe entsorgt und die Reihe ggf. abgeräumt.

First Class Spielertableau
Spielertableau/ Foto: Brettspielpoesie

Am Ende jeder Runde kommt es zu einer Wertung. Vom Startspieler ausgehend und dann reihum wertet zunächst jeder Spieler seine Eisenbahnstrecke und erhält die Boni, die seine Lok erreicht, in beliebiger Reihenfolge. Siegpunkte gibt es anschließend für alle Waggons, die der Schaffner erreicht. Auch hierbei können Bonusaktionen ausgelöst oder mit Münzen gekauft werden.

Nun möchte ich kurz auf die einzelnen Module eingehen: Modul A enthält hauptsächlich spezielle Aufträge. Solche sind auch in den Basiskarten enthalten. Man muss sie nicht erfüllen, wenn man die Karte aufnimmt, sondern kann sie im Laufe des Spiels erfüllen und dann den Bonus erhalten.

Modul B enthält Berühmtheiten und Postkarten. Berühmtheiten steigen immer in den vordersten freien Waggon und verdoppeln die Punkteausbeute in den Wertungsrunden. Somit sind bis zu 24 Punkte pro Waggon möglich. Postkarten werden an beliebige Streckenkarten angelegt und verdoppeln den Bonus bei der Wertung.

Modul C – Wer ist der Mörder? beginnt damit, dass die Rollen Mörder und Unschuldiger unter den Spielern geheim verteilt werden. Hierbei kommen auch die Beweisplättchen zum Einsatz, wenn Spieler entsprechende Karten auswählen. Auf den Beweisen befinden sich entweder 1-3 Fingerabdrücke, Punkte oder die Möglichkeit Beweise wieder abzugeben. Anschauen darf man sie jedoch erst bei Spielende. Zur Sicherheit kann man versuchen an die “Beweise vernichten”-Karten zu gelangen. Bei Spielende steigt der Spieler mit den meisten Fingerabdrücken aus und kann nicht mehr gewinnen, er wurde verhaftet. Handelt es sich dabei nicht um den Mörder, erhält dieser 20 Punkte.

Modul D – Passagiere und Gepäck können eingeladen werden. Beim Platzieren kann es einem einmaligen Bonus geben. In jedem Fall aber gibt es für die Passagiere im obigen Zug Geld, so viel wie abgebildet plus eine Münze für jeden weiteren Passagier. Im unteren Zug geschieht dies analog für Siegpunkte.

Modul E bringt Weichen und Mechaniker ins Spiel, welche zwischen den Zügen platziert werden. Sie können Aktionen oder Siegpunkte auslösen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden.

Spielende:

Das Spiel endet, nachdem auch der dritte Kartenstapel aufgebraucht wurde. Jeder bekommt im gesamten Spiel also nur 18 Karten, mit denen er versucht seine Siegpunktausbeute zu maximieren. Nach der dritten Rundenwertung werden noch die Spielende-Karten ausgewertet. Sie zeigen entweder einen Schaffner, eine Lokomotive oder Bahnstrecken. Für solche Karten gibt es nun noch Punkte und zwar die Anzahl der selbst genutzten Karten mal die abgebildeten Siegpunktwerte. Dann steht der Sieger fest.

Spieleranzahl:

Ob zu zweit, dritt oder viert, dem Spielspaß macht das nichts aus. Da aus jeder der drei Kartenreihen immer nur so viele Karten genommen werden dürfen, wie Spieler teilnehmen, skaliert es auch sehr gut. Auch wenn es sich leichter auf bestimmte Karten spekulieren lässt, je weniger Spieler beteiligt sind.

Glücksfaktor?

Natürlich liegen immer andere Karten in der Auslage, aber die Aufgabe der Spieler besteht darin, aus den verfügbaren Karten die zu wählen, mit denen die meisten Punkte generiert werden können. Damit ist der Glücksanteil sehr gering. Außer man betrachtet das Modul C, bei dem der Spieler mit den meisten Fingerabdrücken automatisch verliert. Unabhängig wie viele Siegpunkte er sammeln konnte. Das passt thematisch vielleicht zum (Mord im) Orient Express, aber wirkt in solch einem planbaren Spiel fehl am Platz.

Fazit:

Wow! Einfach ein großartiges Spiel. Doch als kleinen Bruder von Russian Railroads, wie es oft beschrieben wird, sehe ich es nicht. Zwar haben beide denselben Autor und das gleiche Thema, einiges scheint sich auch zu ähneln, aber es sind zwei komplett eigenständige Spiele. Russian Railroads setzt auf Workerplacement und hat eine recht hohe Einstiegshürde. Diese findet man bei First Class nicht. Angefangen bei der einladenden Grafik über den eigentlich recht simplen Kartenmechanismus spielt es sich locker und der Einstieg gelingt auch Gelegenheitsspielern recht schnell. Es bietet dabei aber erstaunlich viel Spieltiefe, man kann mit den richtigen Karten zum guten Zeitpunkt lange Aktionsketten bilden und bei den Wertungen viele Punkte abräumen.

Ein paar kleine Kritikpunkte lassen sich finden: Man benötigt viel Platz. Durch die Waggons in der einen Richtung und die Streckenkarten in der anderen Richtung, können sich die Spieler schnell in die Quere kommen, dabei sind die Karten schon klein gehalten. Einsteiger werden es meist schwer haben gegen erfahrene Spieler, aber das spricht ja eher für das Spiel, dass man einfach besser wird, wenn man alle Möglichkeiten überschaut. Und dann noch das glückslastige Modul C. Ich werde damit einfach nicht warm, dass Spieler ausscheiden und ihre gesammelten Siegpunkte verfallen. Da es aber scheinbar auch seine Fürsprecher findet, hat der Autor wohl alles richtig gemacht und wem das Modul nicht so sehr gefällt, der spielt eben mit den anderen und hat damit immer noch jede Menge Varianz.

Der Wiederspielreiz ist enorm, da die Kartenauslage für immer andere Optionen sorgt und durch die Module so viele verschiedene Kombinationsmöglichkeiten existieren. Dieser modulare Aufbau schreit schon fast nach Erweiterungen und da wir hier mit Sicherheit mindestens einen Kandidaten, wenn nicht sogar das Kennerspiel 2017, haben, sehe ich viel Potential dafür! Mir bleibt gar nichts anderes übrig als die volle Punktzahl zu vergeben, einfach ein tolles Spielerlebnis!

Wertungsnote 6/6

Verlag: Hans im Glück Verlag
Autor(en): Helmut Ohley
Erscheinungsjahr: 2016
Spieleranzahl: 2 – 4 Spieler
Dauer: 60 – 90 Minuten

Vielen Dank an den Schmidt Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares!

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