Holding On – Das bewegte Leben des Billy Kerr

Cover / Foto: Asmodee

 

Er weiß, er hat nicht mehr lange zu leben,
doch ist er noch nicht bereit zu gehen.
Es wurden falsche Entscheidungen getroffen,
Entschuldigungen blieben unausgesprochen.
Sein Schicksal liegt nun in eurer Hand,
ihr fahrt Schichten am laufenden Band,
um Billy solange am Leben zu erhalten,
bis er bereit ist, für immer abzuschalten.
Dafür muss er seine Erinnerungen neu sortieren,
und sich von seinen Liebsten auf ewig verabschieden.

 

Spielmaterial:

Das Spielmaterial ist in Pastellfarben gehalten und wirkt recht unscheinbar. Ein Spielplan, Karten in zwei verschiedenen Größen, farbige Pöppel und ein paar unterschiedliche Marker sind enthalten.

Spielmechanismus:

Die Spieler schlüpfen in die Rolle des Krankenhauspersonals. Jeden Tag mimt ein Spieler den Schichtleiter, der die zur Verfügung stehenden Kräfte auf die Arbeit verteilt. Nacheinander wird für jede der drei Schichten pro Tag eine Patientenkarte aufgedeckt. Der Schichtleiter muss Personal einsetzen, das Personal entscheidet dann selbst, ob sie den Patienten medizinisch oder palliativ versorgen wollen. Ein Mal pro Tag muss der Patient medizinisch versorgt werden, sonst gibt es eine Verwarnung. Manche Karten zeigen Notfälle, die nur medizinisch behandelt werden können. Dafür muss eine bestimmte Anzahl an Markern eingesetzt werden. Für die Palliativversorgung erhalten die Pfleger Marker oder vage Erinnerungskarten, die fünf Lebensabschnitten zugeordnet sind. Daneben besteht häufig die Möglichkeit Marker einzusetzen, um mit Billy über seine Vergangenheit zu reden und Erinnerungen zu wecken. Dabei werden zufällig Karten aufgedeckt, bis eine aus einem zuvor gewählten Lebensabschnitt gefunden wurde. Falls nicht eine Ereigniskarte zuvor dazu führt, dass Billy nicht mehr mit uns sprechen möchte. Erst am Ende einer Runde werden die vagen Erinnerungen ausgelegt und anschließend die klaren Erinnerungen überprüft. Nur wenn sie zu einer schon ausliegenden vagen Erinnerung passen, darf diese überdeckt werden. Sonst muss die klare Erinnerung zurück in den Stapel.

Spielsituation / Foto: Brettspielpoesie

Je nach Szenario müssen bestimmte Erinnerungen gefunden und/oder zusätzliche Bedingungen erfüllt werden. Neben den Spielern stehen dem Schichtleiter zwei Aushilfen und zwei weitere auf Abruf zur Verfügung. Die Aushilfen können lediglich medizinische oder palliative Versorgung gewährleisten, jedoch keine Erinnerungen hervor holen. Die Aushilfen auf Abruf verlassen das Krankenhaus nach ihrem Einsatz und können in der gesamten Partie nicht mehr eingesetzt werden. Spieler und Aushilfen können durch Doppelschichten Stress bekommen, den sie erst wieder verlieren, sobald sie einen Tag zu Hause bleiben dürfen.

Spielsituation / Foto: Brettspielpoesie

Spielende:

Eine Partie endet im positiven Fall mit dem Erfüllen der gestellten Aufgabe, dann erfahren die Spieler mehr aus dem Leben des Billy Kerr, erhalten neue Karten und die folgende Aufgabe. Stirbt der Patient zuvor, ist die Partie fehlgeschlagen. Bei zwei oder mehr Verwarnungen wird Billy verlegt, die Partie gilt dann ebenfalls als verloren. Die Spieler verlieren auch, wenn die Patientenkarten ausgehen, bevor das Szenarioziel erreicht wurde.

Spieleranzahl:

Das Spiel skaliert gut. Zu zweit darf der Schichtleiter eine Arbeitskraft aus der Frühschicht, für die Nachtschicht erneut einteilen. Bei vier Spielern übernimmt der Schichtleiter selbst keine Schicht, er nimmt lediglich die planende Rolle ein.

Glücksfaktor?

Der Glücksfaktor ist der größte Kritikpunkt an diesem Spiel, er lässt die Motivation zu weiteren Partien schnell sinken oder führt unweigerlich dazu, dass nach einer erfolglosen Etappe oft einfach zur nächsten übergegangen wird. Vor allem, wenn die Aufgabe nur verloren wurde, weil eine bestimmte Karte nicht mehr rechtzeitig aufgedeckt wurde.

Fazit:

Die Erwartungen an Holding On – Das bewegte Leben von Billy Kerr waren hoch, die Fallhöhe entsprechend tief. Ich finde es sehr mutig vom Verlag, ein solches Thema in einem Brettspiel aufzugreifen. Ich habe dazu nicht nur positive Stimmen vernommen. Gerade von Spielern, die nicht so tief in der Szene drin stecken, die seltener spielen, kam die Kritik, dass man am Spieleabend Spaß haben möchte, statt sich von einem ernsten Thema herunter ziehen zu lassen. Ich persönlich finde es richtig und wichtig, auch solche Themen spielerisch anzugehen. Schließlich wird ständig betont, dass Brettspiele eben mehr sind als die berühmt-berüchtigten Monopoly oder Risiko und niveauvoller als die meisten (Kinder-)Spiele, die in jedem größeren Supermarkt zu finden sind.

Wir haben uns für die ersten Partien Wenigspieler dazu geholt, die beruflich tief im Thema drin stecken. Von denen wurde uns berichtet, dass da viel Wahrheit drin steckt, dass sich das Spiel über weite Strecken einfach nur mechanisch anfühlt. Häufig bleibt bei unserem Gesundheitssystem kaum Zeit auf den einzelnen Patienten einzugehen, es wird oft das Gesamtbild betrachtet und ein Weg gesucht, alle Patienten vielleicht nur minimal, dafür aber alle mit ähnlichem Aufwand zu versorgen. Und die Partien Holding On fühlen sich streckenweise nur nach Arbeit an, sehr repetitiver Arbeit. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob dieses Gefühl wirklich erzeugt werden wollte.

Eigentlich hatte ich gehofft, dieses Spiel würde uns mehr hineinziehen, uns Billy sehr viel näher bringen. Doch das bleibt schnell auf der Strecke, zumindest wenn versucht wird möglichst effizient zu spielen. Uns war es schon bald fast egal, wie es Billy gesundheitlich erging, unser oberstes Ziel war es, das Szenario zu gewinnen. Wenn das jedoch nur daraus besteht, bestimmte Erinnerungen und irgendwelche Marker zu sammeln, dann ist der Patient ziemlich egal. Wenn sein Gesundheitszustand noch relativ stabil ist, haben wir die Versorgung hinten angestellt. Das führte zu einer Fokussierung auf die Aufgabe, die vor uns lag, wobei Billys Gesundheitszustand am Ende jedoch schlechter war, als er hätte sein müssen. Vielleicht können wir diesbezüglich zu sehr abstrahieren, für uns stand jederzeit das Szenarioziel an erster Stelle, den schwer kranken Patienten konnten wir schnell ausblenden. Möglicherweise tun das andere Spieler nicht, vielleicht lassen sich diese mehr von der emotionalen Ebene leiten, das sollte meiner Meinung nach jedoch vom Spiel nicht vorausgesetzt werden.

Die Geschichte ist an sich gut durchdacht, die hinterlässt hin und wieder einen richtigen Kloß im Hals, doch wird dies einfach nicht vom Spielprinzip unterstützt. Stattdessen ist man schnell wieder drin im Krankenhausalltag und schaut nur auf die vor einem liegenden Aufgabe. Die Erinnerungen, um die es eigentlich in jeder Partie geht, sind, bis auf einige wenige Ausnahmen, über die gesamte Kampagne hin identisch. Anfangs sind es einfach nur Bilder, im Verlauf der Kampagne bekommt man zwar mehr Informationen dazu, sie müssen jedoch immer wieder erneut hervor gekramt werden. Als würde Billy zwischen unseren Besuchen immer wieder alles vergessen. Doch an Demenz soll er nicht leiden, daher passt diese Aufgabe thematisch nicht ins Bild. Das alles führt zu der großen Distanz, welche sich bei uns zu Billy aufgebaut hat. Wenn man das Thema jedoch außen vor lässt, bleibt ein Spielmechanismus, der mich in keinster Weise überzeugen konnte. Die repetitiven Aufgaben mit dem enormen Glücksfaktor, der über den Ausgang eines Szenarios entscheidet, machen mir und meinen Mitspielern einfach keinen Spaß. Hier wurde leider eine große Chance verpasst.

Wertungsnote 2/6

Verlag: Hub Games / Vertrieb: Asmodee
Autor(en): Michael Fox, Rory O’Connor
Erscheinungsjahr: 2018
Spieleranzahl: 1 – 4 Spieler
Dauer: 45 – 60 Minuten

Vielen Dank an Asmodee für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares!

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2 Antworten auf „Holding On – Das bewegte Leben des Billy Kerr“

Ich kann mich da nur anschließen, tatsächlich habe ich nach zwei Partien schlichtweg mir alle Karten angesehen (neugierig bin ich ja schon) und dann haben wir das Spiel wieder weggegeben. Man hätte es sicherlich besser kampagnenmäßig aufbauen können und das Spielprinzip mit den zufällig gezogenen Karten, die dann zu anderen zufälligen Karten zufällig passen müssen, war doch sehr… Zufällig! ;-)

Hallo Nele, vielen Dank für Deinen Kommentar. Man hätte es sicherlich besser aufziehen können. Schade, dass die Chance verpasst wurde, das Thema mit einem spannenden, interessanten Spielmechanismus gut zu transportieren. Ich hoffe, dass sich noch andere Verlage/Autoren daran trauen und es besser machen.

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